Für mein neuestes Gemälde "Aus den Fugen" (Acryl auf Holz) habe ich mich mit dem Thema der inneren Ordnung eines Menschen auseinandergesetzt, respektive mit dem Moment, in dem diese besagte Ordnung auf der Kippe steht, aus den Fugen gerät.
Ich stelle mir vor, dass wir Menschen normalerweise stetig in die Aufrechterhaltung der sogenannten inneren Ordnung investieren, zum Beispiel anhand von Analysieren und Beobachtungen, Selbstreflexion, bewusstem Wahrnehmen, Erleben und Ausdrücken von Emotionen. Diese sich ständig wandelnde Ordnung ermöglicht uns nicht zuletzt, nebst unseren eigenen auch die Grenzen anderer einzuschätzen, und trägt somit zur Empathiefähigkeit bei. Sie ist demnach gewissermassen die Basis für einen respektvollen und friedlichen zwischenmenschlichen Umgang.
Ich denke, dass beispielsweise der Zustand von tiefer Verzweiflung diese innere Ordnung gefährdet. Folgende Definition zu C (von J. G. Krünitz aus der Oekonomischen Encyklopädie) untermalt die erschütternden Auswirkungen, die Verzweiflung auf uns haben kann:
"Ein Zustand des menschlichen Gemüthes, welcher in einer gänzlichen Hoffnungslosigkeit besteht. Die Verzweiflung ist gepaart mit Angst und Schmerz, und zwar beides in höchster Steigerung. Sie bringt das Gemüth in solche Verwirrung, daß der Verzweifelnde entweder völlig rathlos sich den wildesten Ausbrüchen des Schmerzes überläßt, oder auf eine bloße Möglichkeit der augenblicklichen Rettung hin, auch wenn die Möglichkeit des Gelingens in weiter Ferne liegt und sogar Gefahr vorhanden ist, in einen noch unglücklicheren Zustand zu gerathen, ohne Ueberlegung jedes Mittel ergreift, sobald die Vermuthung nur auftaucht, es werde eine rasche Entscheidung herbeiführen. Die Verzweiflung führt sogar oft bis zum Selbstmord, bis zur Selbstvernichtung; denn sie raubt die Klarheit der Sinne, das Bewußtsein von Recht und Unrecht, und bringt den Menschen bis an den Rand völliger Geistesverwirrung oder wirklichen Wahnsinns."
Tritt nun also aufgrund tiefer Verzweiflung der Fall ein, dass wir den Glauben an die Notwendigkeit unserer "inneren Ordnung" aufgeben, löst sich ein wichtiger Teil unseres Selbstverständnisses auf. Es gerät alles durcheinander, und ich denke, dass sogar die Hierarchie unserer Bedürfnisse und Begierden sich im Extremfall plötzlich im freien Fall befinden kann. Eigene Grenzen sind uns dann nicht mehr bewusst (oder egal), und so geht es auch mit Grenzen anderer.
In meinem Bild habe ich versucht, die verzerrte Wahrnehmung, die Verschiebung von Grenzen und der Verlust von "Klarheit der Sinne" zu verarbeiten. Ich bin mir sicher, dass dieser Stoff für viele weitere Werke reichen würde.